Zukunft gestalten geht anders!

Die Jusos im bezirk Braunschweig begrüßen ausdrücklich den verbindlichen Mitgliederentscheid über den mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag. Die Vetragsbestimmungen gehen uns Jusos jedoch nicht weit genug, da wesentliche Zukunftsthemen wie beispielsweise eine humane Asylpolitik, ein soziales Europa und die Ausgestaltung der Energiewende fehlen. Hier findet ihr einen Antrag, den mehrere Juso-Verbände gemeinsam zum Bundeskongress der Jusos stellen.

Wir Jusos sind bei dieser Bundestagswahl angetreten um gemeinsam mit der SPD einen Politikwechsel einzuläuten. Unser Ziel war und ist: wir wollen das Leben für vieler Menschen nachhaltig verbessern. Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit, die Weichen für gute Arbeit stellen, den Investitionsstau beseitigen und die gesellschaftliche Modernisierung voranbringen.

Die SPD hat das Wahlziel einer rot-grünen Mehrheit verfehlt, andere Optionen hatte die Parteispitze vorher ausgeschlossen. Unter diesen Umständen haben wir Jusos uns ganz bewusst den Koalitionsverhandlungen nicht prinzipiell verweigert. Sehr entschieden haben wir gesagt, dass die Bedingung für einen Eintritt in jede Bundesregierung ein Politikwechsel sein muss. Glaubwürdigkeit gerade bei jungen Menschen kann die SPD nur (zurück)erlangen, wenn sie an ihren inhaltlichen Forderungen festhält.
Nach den Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU hat die Verhandlungsgruppe nun einen Koalitionsvertrag erarbeitet, den der SPD-Parteivorstand den Mitgliedern zur Entscheidung vorlegt und zur Annahme empfiehlt.
Mit dem Mitgliedervotum beschreiten wir als erste Partei einen historisch einmaligen Weg der Demokratie und politischen Mitgestaltung. Dieser viel beachtete Prozess ist ein großer Schritt in Richtung einer lebendigen, starken und zur Beteiligung einladenden Mitgliederpartei. Die Letztentscheidung der Parteimitglieder ist mit Verantwortung verknüpft. Verantwortung, die wir Jusos ernst nehmen. Wir setzten uns mit den inhaltlichen Ergebnissen ehrlich und konstruktiv auseinander. Wir begrüßen und unterstützen die Debatten, die auf allen Ebenen der Partei intensiv geführt werden.

Entscheidend für unsere Bewertung war für uns Jusos immer, welche inhaltlichen Punkte sich mit der Union durchsetzen lassen. Für die Koalitionsverhandlungen hat sich die SPD auf dem Parteikonvent mit dem Beschluss „Verantwortung für mehr soziale Gerechtigkeit“ einen klaren Kompass gegeben. Viele von diesen Punkten konnten in den Verhandlungen durchgesetzt werden. Unsere Verhandlungsgruppe hat an vielen Stellen gute Arbeit geleistet. Für ihre couragierte Verhandlungsführung gilt den Verhandelnden unsere Anerkennung. Aus diesem Grund ist ein Votum über den Vertrag kein Votum für oder gegen die Verhandelnden, sondern für oder gegen den Eintritt in eine Bundesregierung mit einer historisch starken Union auf Basis des vorliegenden Vertrags und der Erwartungen der Menschen an die SPD.

Bei dem wichtigen Thema Mieten konnten wir mit den veränderten Regelungen zur Maklergebühr sowie der Mietpreisbremse wichtige Verhandlungserfolge erzielen. Auch die Fortschritte im Bereich der Asylpolitik wie z.B. eine Arbeitserlaubnis nach drei Monaten, sowie die Abschaffung der Optionspflicht bei der Doppelten Staatsbürgerschaft begrüßen wir sehr. Allerdings enttäuscht, dass die Optionspflicht nur für bereits in Deutschland Geborene abgeschafft wird. Auch im Bereich der Arbeitsmarktreformen zeigt sich ein geteiltes Bild: Beim Mindestlohn konnten wir uns im Kern mit unserer Forderung von 8,50 Euro – flächendeckend und gesetzlich – durchsetzen. Trotz einiger Ausnahmen kann man dies als Erfolg verbuchen. Das Einfrieren des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 bis 2018 wird den Erfordernissen der Betroffenen allerdings nicht gerecht. Bei der Regulierung der Leiharbeit konnten nur kleine Fortschritte erzielt werden. Die Einführung des Grundsatzes von „equal pay“ nach 9 Monaten geht in die richtige Richtung, reicht aber für einige Branchen insbesondere im Dienstleistungssektor nicht aus, weil eine große Zahl von Leiharbeitskräften diese Anzahl gar nicht erreicht. Im Bereich der Rente sind gerade die Erhöhung zur Zurechnungszeit bei der Erwerbsminderungsrente sowie die Möglichkeit nach 45 Beitragsjahren bereits ab 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen zu können wichtige Bausteine im Kampf gegen Altersarmut. Gleichzeitig gibt es die Rente mit 63 aber nur für eine Übergangszeit und den Zugang zur ‚solidarischen Lebensleistungsrente‘ konnte die Union mit der Pflicht zur privaten Vorsorge für die meisten Betroffenen versperren.
Uns ist klar, dass in einer Koalition das Wahlprogramm der SPD nicht zu 100% umgesetzt werden kann. Dennoch fehlen aus Sicht der Jusos weitere wesentliche Punkte.

ZukunftsGerecht!
Wir haben uns im Bundestagswahlkampf nachdrücklich dafür eingesetzt, insbesondere über die Steuerpolitik die zunehmend ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland zu korrigieren. Wir haben klar gesagt, dass wir die BezieherInnen hoher Einkommen und die BesitzerInnen großer Vermögen verstärkt zur Staatsfinanzierung heranziehen wollen. Damit wollten wir die notwendigen Einnahmen erzielen, um über staatliche Investitionen vor allem in Bildung, Infrastruktur und in den Kommunen auch mehr Chancengerechtigkeit zu schaffen.
Im Koalitionsvertrag ist es nicht einmal im Ansatz gelungen, dieses Konzept umzusetzen. Zwar wurden einige Investitionen in Bildung und Kommunen versprochen. Zum Beispiel sollen die Länder zur Finanzierung von Kitas, Schulen und Hochschulen um sechs Milliarden Euro entlastet werden, fünf Milliarden Euro sollen für öffentliche Infrastrukturprojekte bereitgestellt werden. Das ist aber bei weitem nicht ausreichend, um die versäumten Investitionen der letzten Jahre wettzumachen und die notwendigen zusätzlichen Investitionen zu realisieren. Außerdem ist bei allen Projekten die Finanzierung ungeklärt. Sich, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, auf eine günstige Entwicklung der Staatseinnahmen zu verlassen, ist blauäugig mit Blick auf die Entwicklungen in der Weltwirtschaft, die eine gegenteilige Einnahmeentwicklung erwarten lassen.
Von Anfang an hat die Union beim Thema Steuererhöhungen dicht gemacht. Für uns ist die Maxime „viel versprechen, aber wegen ungeklärter Finanzierung nichts halten“ kein gangbarer Weg. Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck, sondern sie garantieren präventive Sozialpolitik und Investitionen in die Zukunft. Gleichzeitig tragen sie zur Umverteilung bei und machen unsere Gesellschaft damit gerechter.
Das Ziel, die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern wird durch das Unterlassen einer stärker umverteilenden Steuerpolitik nicht angegangen. Das Gegenteil wird Wirklichkeit: An einigen Stellen werden ArbeitnehmerInnen deutlich stärker belastet. Die steigenden Kosten im Gesundheitssystem etwa müssen einseitig von ArbeitnehmerInnenseite getragen werden. Auch steigende Energiepreise belasten vor allem Geringverdienende.

Ein anderes Europa!
Die bisherige Krisenpolitik hat nicht zur Überwindung der Krise beigetragen, ganz im Gegenteil, sie hat verheerende Auswirkungen für die betroffenen Länder und insbesondere für die dort lebenden Menschen. Die einseitige Sparpolitik hat die Handlungsspielräume vieler Staaten erheblich eingeschränkt. Es fehlen die Mittel um Wachstumsimpulse zu setzen und die Voraussetzungen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen. Die Kosten der Krise werden auf die Schultern von ArbeitnehmerInnen, RenterInnen und Jugendlichen abgewälzt.
Den notwendigen Kurswechsel in Europa wird es mit diesem Koalitionsvertrag jedoch nicht geben. Maßgeblich bleiben „Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit“ und eine „strikte, nachhaltige Haushaltskonsolidierung“. Auch wenn Wachstumsimpulse und soziale Ausgewogenheit erwähnt werden, so zieht sich der Duktus der Austerität, des deutschen Spardiktats, durch den ganzen Text. Der Kurswechsel in Europa, auf den viele Menschen auf dem ganzen Kontinent hoffen, bleibt aus. Vielmehr könnte die bisherige Strategie durch einen Wettbewerbspakt („verbindliche Reformvereinbarungen mit der europäischen Ebene“) unter Duldung der SPD komplett unumkehrbar gemacht werden.
Insbesondere bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit tun Deutschland und Europa bislang zu wenig. Dies wird sich auch mit einer schwarz-roten Bundesregierung nicht ändern. Deutlich mehr Mittel wären notwendig um spürbare Verbesserungen für Länder mit horrenden Jugendarbeitslosigkeitsquoten zu bringen. Ein Schuldentilgungsfonds oder ein ähnliches Instrument, das die von der Banken- und Finanzkrise besonders hart betroffenen Eurostaaten von ihren sehr hohen Zinslasten solidarisch entlasten könnte, ist nicht vorgesehen. Wir haben stets eine solidarische Lösung der Krise gefordert. Der Vertrag hingegen lehnt jede Form der Vergemeinschaftung von Staatsschulden ab. Nationale Budgetverantwortung und supranationale, gemeinsame Haftung seien unvereinbar. Hier hat sich die Union durchgesetzt.
Die Abschottungspolitik der EU gegenüber Flüchtlingen setzt der Koalitionsvertrag fort. Was „mehr Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten“ konkret bedeuten soll ist unklar. Die Drittstaatenregelung (Dublin II) soll offenbar nicht verändert werden. Außerdem werden die Staaten des westlichen Balkans zu sicheren Drittstaaten erklärt, obwohl gerade Roma dort diskriminiert werden. Durch diese Änderung drohen viele Abschiebungen, die vor dem Hintergrund der dortigen innenpolitischen Situation nicht nur für Roma, sondern beispielsweise auch für Homosexuelle und Obdachlose im Ernstfall lebensbedrohlich sein kann. Wir sind überzeugt, dass politische Kompromissfindung spätestens dort an ihre Grenzen stößt, wo die Auswirkungen Leib und Leben der Betroffenen bedrohen. Insofern wurde hier eine rote Linie klar überschritten.

Jugend braucht Zukunft!
In unserem erfolgreichen Jugendwahlkampf haben wir uns für mehr Sicherheit und Perspektiven für junge Menschen eingesetzt. Davon findet sich im Koalitionsvertrag wenig wieder.
Insgesamt scheint der Koalitionsvertrag die zunehmend prekäre Situation gerade junger Menschen aus den Augen verloren zu haben. Hier wird der fehlende moderne Gesellschaftsentwurf besonders deutlich. Der Koalitionsvertrag gibt keine Antwort auf die Fragen, die für junge Menschen zentral sind: Wie gelingt es, gleiche Bildungschancen für alle zu realisieren? Wie gelingt jungen Menschen ein Start in das Erwerbsleben, der mit sicheren Arbeitsplätzen verbunden ist? Wie gelingt es, Engagement für die Gesellschaft und Familie trotz zunehmendem Leistungsdrucks und zunehmender Unsicherheit im Bildungssystem und der Erwerbsarbeit zu ermöglichen? Wie passt sich die Gesellschaft an die vielfältigeren und offenen Lebensentwürfe (nicht nur) junger Menschen an? Ohne Antworten auf diese Fragen und daraus abgeleitetes politisches Handeln – wie es das Regierungsprogramm formuliert hat – ist aber eine zunehmende Verschlechterung der Lebensverhältnisse (nicht nur) junger Menschen zu erwarten, ein weiterer Trend zur Prekarisierung und ein Rückzug auf die Sicherung des eigenen (Erwerbs-)Status zu Lasten gesellschaftlichen Engagements.
Zentral waren für uns Verbesserungen in Ausbildung und Studium sowie die Situation junger Beschäftigter. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zur Stärkung und Modernisierung der dualen Ausbildung. Da viele junge Menschen jedoch nach wie vor keinen passenden Ausbildungsplatz finden, reicht uns eine reine Zielformulierung zum Recht auf Ausbildung nicht aus. Auch die Mindestauszubildendenvergütung wird mit keinem Satz erwähnt. Dabei ist es für Jugendliche wichtig, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen.
Auch die finanzielle Situation von Studierenden wird durch den Koalitionsvertrag nicht verbessert. Die dringend notwendige Reform des BAföG bleibt aus. Damit bleibt es weiterhin gerade für junge Menschen aus finanziell schwierigen Verhältnissen besonders schwer an der Universität zu bestehen. Im Gegenzug sollen sowohl Exzellenzinitiative als auch das Deutschlandstipendium weiterfinanziert werden. Der Koalitionsvertrag setzt an dieser Stelle ein klares Zeichen für Elitenförderung und Wettbewerb. Chancengleichheit und Breitenförderung bleiben aber auf der Strecke. Auch zum Ausbau von Masterplätzen oder der sozialen Infrastruktur an Hochschulen konnte kein Kompromiss herbeigeführt werden.
Unischere berufliche Perspektiven erschweren vielen jungen Menschen die eigene Lebensplanung. Dagegen haben wir uns im Wahlkampf stark gemacht. Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ist dabei ein wichtiger Baustein um die Lebenssituation junger Menschen zu verbessern. Er wurde vom Parteikonvent zu Recht als „unverzichtbar“ für eine Koalition eingestuft. Leider konnte auch diese Forderung nicht durchgesetzt werden. Damit bleibt die berufliche Situation vieler junger Menschen weiterhin ungewiss.
Auch in gleichstellungspolitischen Fragen – sei es zwischen den Geschlechtern oder auch zwischen Ehen und Lebenspartnerschaften – bleibt der Vertrag im Ungefähren. Das Betreuungsgeld wird kaum noch ernsthaft diskutiert, unsere Vorstellung eines Entgeltgleichheitsgesetzes konnten wir nicht durchsetzen und auch bei gleichen Rechten für gleichgeschlechtliche Paare, so zum Beispiel bei Fragen des Adoptionsrechts, gibt es nur anerkennende Worte, die in der politischen Praxis jedoch weitgehend folgenlos bleiben. Für Frauen und nicht-heterosexuelle Partnerschaften bliebe auch zukünftig das Bundesverfassungsgericht die wichtigste Interessenvertretung. Für eine Partei, die proaktiv gesellschaftlichen Fortschritt organisieren will, ist das nicht akzeptabel.

Nicht zuletzt die in den Verhandlungen beerdigte BAföG-Reform, das geplatzte Ganztagsschulprogramm, der Fortbestand des Kooperationsverbotes, sowie die zögerlichen Schritte in der Gleichstellung stehen sinnbildlich für die Fantasielosigkeit, mit der eine Große Koalition den Lebensrealitäten junger Menschen begegnen will. Gleichzeitig liegt uns nichts ferner, als einem Generationenkonflikt das Wort zu reden.

Fazit:
Fakt ist: die SPD hat in einigen Bereichen gute Verhandlungserfolge erzielt. Sie hat der Union Kompromisse abgerungen, hinter die die Konservativen nicht wieder zurückfallen können. Fakt ist aber auch: in vielen wichtigen Bereichen konnten wir gegen diese Union unsere Positionen nicht durchsetzen. Es fehlt ein tragfähiges Finanzierungskonzept für notwendige Zukunftsinvestitionen. Es fehlt die Vision eines anderen Europas. Es fehlen Zukunftsperspektiven für junge Menschen. Wichtige Reformprojekte wie die Einführung einer Bürgerversicherung werden nicht angegangen. Zukunft gestalten geht anders!
Der vorliegende Koalitionsvertrag zeigt, dass mit dieser Union kein Politikwechsel möglich ist. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen.

Für uns Jusos ist klar: egal wie der Mitgliederentscheid ausfällt, wir stehen der Entscheidung, die die SPD-Mitglieder treffen. Wenn die Koalition zustande kommt, muss sich die SPD Gedanken darüber machen, wie sie auf den verschiedenen Politikebenen ihren Gestaltungsanspruch über die große Koalition hinaus verwirklichen kann. Dies gilt insbesondere für die europäische Ebene. Wir Jusos werden, wenn diese Koalition zustande kommt, darum kämpfen, dass auch junge Menschen von sozialdemokratischer Politik profitieren. Sollte die Regierungsbildung scheitern, bleiben wir treibende Kraft in der Opposition. Kommt es zu Neuwahlen, werden wir wieder in der ersten Reihe stehen und um Stimmen werben. Mehr noch: Wir kämpfen um jedes Mitglied in unserer Partei und Bewegung.