
Lieber Sigmar, liebe Yasmin,
zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union haben wir als SozialistInnen und SozialdemokratInnen in ganz Europa einen gemeinsamen europäischen Wahlkampf geführt. Martin Schulz war präsent als der gemeinsame Kandidat aller europäischen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien. Wir haben es geschafft, die Europawahl zu politisieren. Die Kampagne machte deutlich, dass wir als SozialdemokratInnen ein Europa jenseits der nationalstaatlichen Interessenpolitik wollen. Ein Europa, in dem alle Menschen unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit solidarisch zusammenleben und in dem nicht nur wirtschaftliche Interessen zählen, sondern die Menschen im Mittelpunkt stehen. Hierauf sind wir als InternationalistInnen sehr stolz und haben den Wahlkampf engagiert und begeistert unterstützt.
Umso erschrockener waren wir, als am letzten Freitag die Abschlussanzeige des Parteivorstandes in vielen namenhaften Zeitungen erschienen ist. Wir waren erstaunt und verärgert darüber, dass auch die SPD auf den letzten Wahlkampfmetern die nationale Karte gespielt hat. Diese Kehrtwende im Wahlkampf, in dem ansonsten die Sachthemen im Vordergrund standen, ist eine Enttäuschung für alle, die für ein gerechteres und solidarischeres Europa gekämpft haben, das jenseits der nationalen Egoismen steht.
Wir Jusos und Juso-Hochschulgruppen haben in den letzten Wochen einen sehr engagierten Wahlkampf geführt. Wir standen voll und ganz hinter Martin Schulz und den inhaltlichen Schwerpunkten der Kampagne. Die Anzeige, die ein von Nationalismus geprägtes Denkmuster ansprach, war als das Finale der Kampagne einer pro-europäischen Partei unwürdig. Dies hat in einem Europawahlkampf nichts zu suchen!
Eine Wahlempfehlung für Martin Schulz kann und darf nicht aufgrund seiner Nationalität erfolgen.
Unser Kandidat kann mehr als deutsch zu sein. Daher ist ein Wahlkampfaufruf von Seiten der SPD, der alleine auf diese aufbaut und versucht niedere Gefühle zu wecken, für uns nicht akzeptabel. Vielmehr noch: Es widerspricht unseren sozialistischen und sozialdemokratischen Grundüberzeugungen, aus denen sich ein wichtiger Grundsatz ableiten lässt: Menschen dürfen nicht nach ihrer Nationalität beurteilt werden!
In unserem Wahlkampfendspurt konnten wir bei den zahlreichen Aktionen erleben, dass verärgerte BriefwählerInnen auf uns zugekommen sind, die ihre Stimme für die SPD und Martin Schulz am liebsten wieder zurückgezogen hätten. Seit Freitag haben uns viele dieser und ähnlicher Reaktionen zum Abschlusscampagning der Partei erreicht. Auch viele unserer Genossinnen und Genossen waren sehr verärgert über diese Art des Stimmenfischens. Mit einem solch plumpen Kampagnenelement hat die SPD zudem viele WählerInnen des linken Spektrums verprellt, die ansonsten unsere progressiven Ideen für ein anderes Europa unterstützt hätten! Wir finden, auf der Straße für ein solidarisches Europa zu kämpfen und dann so eine Zeitungskampagne zu schalten, konterkariert wichtige Aussagen des Wahlkampfes. Wir wollen die Menschen mit Inhalten und Argumenten überzeugen und nicht durch das Spiel mit Vorurteilen.
Wir fordern die Parteiführung deshalb auf, bei zukünftigen Wahlkämpfen auf schnellen Populismus und billige Parolen zu verzichten. Die SPD muss sich die Frage stellen, ob sie eine pro-europäische Partei sein möchte, oder ob sie weiterhin im nationalen Klein-Klein verharren will. Wir kämpfen für ein offenes, solidarisches Europa und hoffen die SPD hierfür auch weiterhin an unserer Seite zu wissen. Wir möchten die SPD gerne weiterhin nach Kräften und mit gutem Gewissen unterstützen können, deshalb darf es solche Anzeigen nicht noch einmal geben!