Liebe Genossinnen,
Liebe Genossen,
Mit der Zustellung der Unterlagen haben wir nun alle die Wahl: Möchten wir, dass die SPD in eine weitere große Koalition geht oder nicht? Wir Jusos haben uns dazu eindeutig positioniert. Wir glauben, dass eine weitere große Koalition weder unserer Demokratie noch unserer Partei guttut. Wir glauben, dass es einen Weg herausgibt, aus dem ständigen Automatismus Mehrheitsbeschaffer der Christdemokraten zu sein. Dieser Weg heißt vor allem: Erneuerung, Aufarbeitung und der Grundsatz zu dem zu stehen, was wir vor den Wahlen und danach ankündigen.
Die SPD hat den Wählerinnen und Wählern am Wahlabend ihr Wort gegeben nicht wieder in eine große Koalition zu gehen. Nach dem Wahlabend war jeden klar: So kann es nicht weitergehen! Die Partei muss sich erneuern und inhaltlich ihren Kompass neu ausrichten. An dieser Situation hat weder das Scheitern von Jamaika noch der folgende Koalitionsvertrag etwas geändert. Wir Jusos sind fest davon überzeugt: Unsere Partei steht am Scheideweg! Die Entscheidung ob unsere Partei in eine weitere Große Koalition geht oder nicht wird den Zustand der Sozialdemokratie über die nächsten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte bestimmen. Aus diesem Grund ist umso wichtiger sich die Entscheidung für und wider eine große Koalition nicht zu einfach zu machen. Beiden Seiten muss in dieser Debatte die Möglichkeit gegeben werden gehört zu werden. Umso enttäuschender war es für uns festzustellen, dass selbst der Brief mit den Wahlunterlagen nicht neutral, sondern im Gegenteil mit einem Statement für den Koalitionsvertrag ausgestattet war. Vor diesem Hintergrund und aus fester Überzeugung, dass der Einschritt in eine große Koalition ein fataler Fehler der SPD wäre erhaltet ihr auf diesem Wege eine Darstellung der Gegenargumente, die ihr nicht mit den Wahlunterlagen erhalten habt:
1. Wir dürfen der AfD die Oppositionsführerschafft nicht überlassen
Mit dem Eintritt in eine große Koalition machen wir die AfD zur größten Oppositionspartei im Bundestag. Damit geben wir dieser rechtsextremen Partei eine Bühne die sie nicht verdient. Mit der Oppositionsführerschafft gehen einige parlamentarische Rechte einher, wie zum Beispiel das Erstrederecht nach der Regierung. In einer Großen Koalition geben wir der AfD damit genau das was sie will: Aufmerksamkeit und die Möglichkeit so zu tun, als wäre sie die einzige politische Alternative zum „Establishment“.
2. Die fehlende Unterscheidbarkeit zwischen CDU und SPD schadet der Demokratie
Es folgt eine Situation, die viele von uns kennen: Man steht am Infostand und versucht die Menschen zu überzeugen die SPD zu wählen. Doch alles was man von den Passantinnen und Passanten zu hören bekommt ist das es doch sowieso keinen Unterschied macht, ob man nun SPD oder CDU wählt. Natürlich wissen wir alle, dass das falsch ist. Jedoch ist es selbstverständlich, dass der Unterschied für die Wählerinnen und Wähler verschwimmt, wenn wir drei Jahre die Kompromisse der großen Koalition als unsere Erfolge feiern und dann im Wahljahr plötzlich umschwenken.
Der Hype um die Benennung des Kanzlerkandidaten Schulz sowie der Wahlkampf zur Landtagswahl haben eindeutig gezeigt, dass sich die Menschen nach politischer Unterscheidbarkeit sehnen. Das konsensulale Gekuschel in der angeblichen politischen Mitte haben die meisten satt und das zentrale Problem ist, dass dieser politische Stillstand auf Kosten der Sozialdemokratie gehen wird. Wir sind der festen Überzeugung, dass unser Wählerpotenzial sich nach Veränderung und einem fortschrittlichen und sozialen Kurs sehnt. Diejenigen die sich mit dem Stillstand zufriedengeben, sind nicht unsere WählerInnen, sondern die der Union und sich diesem Umstand bewusst zu werden, ist auch Teil der Unterscheidbarkeit die wir dringend brauchen.
Um auf die Situation am Infostand zurückzukommen: Wir glauben nicht, dass uns am Infostand im Jahr 2021 irgendjemand abnehmen wird, dass wir nicht nur der Mehrheitsbeschaffer der Union sind. Wir wissen nicht, was wir den Menschen in vier Jahren erzählen sollen, um sie zu überzeugen, dass es nicht unser Ziel ist wieder in die Große Koalition zu gehen. Sofern diese Große Koalition, dann überhaupt noch groß genug ist, um Mehrheiten zu beschaffen.
3. Die geforderten Verbesserungen am Koalitionsvertrag sehen wir nicht
Außerhalb weniger Formelkompromisse sehen wir im Koalitionsvertrag jedoch Verbesserung zum vorherigen Sondierungspapier. Dabei war der Auftrag des Sonderparteitages eindeutig. Insbesondere in den Bereichen der der Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin, beim Familiennachzug und bei der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sollte nachgebessert werden. Was haben bekommen: zum Bespiel eine Kommission die sich mit Ärztehonoraren auseinandersetzten soll. Wir sehen nicht inwiefern, dass einem/ einer einzigen Patienten helfen soll. Darüber hinaus wurde die sachgrundlose Befristung von 24 auf 18 Monate verkürzt. Wir glauben nicht, dass eine solche Verkürzung den betroffenen ArbeitnehmerInnen hilft. Ganz im Gegenteil könnte es potenziell sogar zu weniger Planungssicherheit führen. Darüber hinaus ist der Kompromiss einer Härtefall Regelung im Bereich des Familiennachzugs angekündigt worden. Von dieser durchgesetzten Härtefall Regelung haben im letzten Jahr etwa 50 Menschen profitiert. Damit kann man diesen Kompromiss höchstens als Tropfen auf dem heißen Stein ansehen. Selbstverständlich gibt es auch positive Punkte im Koalitionsvertrag. Diese aufzuzählen überlassen wir an dieser Stelle, den Wahlunterlagen die euch zugesendet wurden. Der zentrale Punkt ist jedoch keine dieser Dinge die wir Koalitionsvertrag durchgesetzt haben, kann eines wettmachen: Und das ist der Glaubwürdigkeitsverlust und die Verzwergung die sich diese Partei durch den Gang in eine weiter große Koalition ein weiteres Mal aussetzt.
4. Nein zur GroKo muss nicht zwangsläufig Neuwahlen heißen
Bei einem Nein zur Großen Koalition gibt es keinen Automatismus für Neuwahlen. Das Grundgesetz sieht für einen solchen Fall eindeutige Regelungen vor. Egal ob Merkel es möchte oder nicht, wird es zunächst zu einer Wahl eines Bundeskanzlers/ einer Bundeskanzlerin kommen. Erst dann können durch das Stellen einer Vertrauensfrage Neuwahlen ausgelöst werden. Ob Merkel jedoch bei einem kategorischen Nein zu einer Minderheitsregierung bleibt ist nicht eindeutig. Bei ihrem letzten Interview bei Bettina Schausten sagte sie, dass sie im Falle einer Ablehnung der SPD Basis für die Wahl zur Bundeskanzlerin bereitstehe.
5. Das vorhergegangene Chaos zeigt: Diese Partei braucht Erneuerung!
Der Parteivorstand hat sich in den letzten Wochen nicht zwangsläufig mit Ruhm bekleckert. Offene Schlachten um Ministerposten haben der Partei schwerwiegend geschadet. Man kann es dem außenstehenden Beobachter kaum übelnehmen, wenn er den Eindruck bekommen hat, dass es einigen mehr um Karriereambitionen als um inhaltliche Schwerpunkte geht. Wir alle wissen jedoch diese Partei ist mehr als der Postenbeschaffer weniger Mitglieder und mehr als der Mehrheitsbeschaffer der Union. Die derzeitige Lage der SPD ist schwierig und wir befürchten, dass wir diese Partei mit einem weiteren Gang in die große Koalition verloren geben. Wir wollen diese Partei jedoch nicht verloren geben, wir wollen Aufbruch und Erneuerung!
Die SPD muss wieder den Anspruch haben eine unterscheidbare, starke und linke politische Kraft in Deutschland zu sein. Dafür brauchen wir eine politische Kehrtwende und einen echten Erneuerungsprozess. Wir wollen einen klaren politischen Kurs in der die Menschen wieder eine Alternative zum derzeitigen Stillstand sehen können. Wir müssen mit den Fehlern der Vergangenheit konsequent aufräumen. Wir sind es satt im Jahre 2018 immer noch über die Hart IV Reformen reden zu müssen. Dafür gibt es nur eine Lösung: ein für alle Mal die Fehler die in dieser Reform beseitigen. Wir möchten das die SPD sich wieder traut mit linken, fortschrittlichen Themen das Sprachrohr all jener zu sein, die nicht glauben, dass wir derzeit in einer gerechten Gesselschaft leben. Das können wir nicht in einer Großen Koalition und von daher rufen wir euch alle dazu auf, eine solche Erneuerung zu wagen, für die Glaubwürdigkeit dieser Partei einzustehen und daher beim kommenden Mitgliedervotum mit Nein zu stimmen!